First Position – Ballett ist ihr Leben

Wenn Balletttänzerinnen und –tänzer mit einer unvergleichbaren Eleganz und einer graziösen Leichtigkeit über die Bühne schweben, vergisst man als Zuschauer leicht, mit welchen Anstrengungen diese Kunstform verbunden ist. Denn was nach Leichtigkeit aussieht, ist in Wirklichkeit ein harter Kampf, der oft mehr als nur Blut, Schweiß und Tränen fordert. Ein Kampf, der oft schon im frühen Kindesalter begonnen wird. Wer nicht mit totaler Disziplin und Hingabe bei der Sache ist, für den wird Ballett nie mehr sein, als ein kleines Hobby. Für wen das Tanzen aber das Leben ist, der hat beim "Youth America Grand Prix" (YAPG) die Möglichkeit, sich ein Stipendium oder einen begehrten Vertrag bei den besten Ballettschulen und –ensembles der Welt zu ertanzen. Es sind nur 300 Sekunden, die ein Leben für immer verändern können.

Die Filmemacherin Bess Kargman hat für ihre Dokumentation "First Position – Ballett ist ihr Leben" sechs junge Talente bei ihren Vorbereitungen auf diesen Wettbewerb begleitet. Da sind die Geschwister Miko und Jules, die von ihrer Mutter immer wieder zu Bestleistungen angetrieben werden, wodurch gerade Jules mehr und mehr den Spaß am Ballett verliert. Oder der 11jährige Aran Bell, der mit seinem Talent und seinem Charme, nicht nur die Herzen des Wettbewerbspublikums in Windeseile für sich gewinnt. Auch der junge Kolumbianer Joan Sebastian Zamora erhofft sich von seiner Teilnahme an dem YAPG in New York, dass er sich seinen ganz großen Traum von einer Karriere als Tänzer wird erfüllen können. Michaela DePrince, eine Kriegswaise aus Sierra Leone, will der Jury beweisen, dass auch farbige Mädchen diese Kunstform perfekt beherrschen können. Und Rebecca Houseknecht, die jedes Klischee einer reinen Tanz-Barbie zu erfüllen scheint, will mit viel Disziplin und einer ausgefeilten Technik eben gegen diese Klischees antanzen.

All diese Kinder und Jugendlichen verbindet ihre Leidenschaft zum Balletttanz, eine Leidenschaft, die sie aus ganz unterschiedlichen Gründen entwickelt haben. In sehr charmanten und offenen Interviews und wunderbaren Momentaufnahmen von den Proben oder aus dem Alltag der Protagonisten wird dem Zuschauer offenbart, was das Tanzen für jeden Einzelnen dieser großartigen Talente bedeutet und warum sie mitunter große Schmerzen in Kauf nehmen, um ihren eigenen Ansprüchen und denen ihrer Trainer gerecht zu werden. Das ist mal sehr amüsant, etwa wenn Rebecca behauptet, sie sei ein ganz normales, einfaches Mädchen, während sie hinter dem mit rosa Plüsch überzogenen Lenkrad ihres Autos sitzt. In anderen Momenten schafft es der Film aber auch, sehr zu bewegen, was besonders dann der Fall ist, wenn Michaela über ihre traumatischen Erinnerungen an den Krieg in ihrer Heimat erzählt.

In erster Linie aber ist der Film ein äußerst unterhaltsames Zeugnis von ganz großen Talenten, von denen man sich auch dann faszinieren lassen kann, wenn man selber mit Ballett nicht besonders viel am Hut hat. "First Position – Ballett ist ihr Leben" ist eine ganz wundervolle Dokumentation, an deren Ende nicht nur ein glückliches Lächeln auf die Gesichter der Zuschauer gezaubert wurde, sondern auch eine ganz große Dankbarkeit entsteht, dass die eigenen Füße nicht so aussehen, wie die Geschundenen der jungen Tänzerinnen und Tänzer. Daher gilt: absolut sehenswert!

Ein Artikel von Sebastian Betzold