Die Frankfurt-Tipp Bewertung: |
Originaltitel: | Anomalisa |
Genre: | Drama, Animation |
Regie: | Charlie Kaufman |
Kinostart: | 21.01.2016 |
Produktionsland: | USA 2015 |
Laufzeit: | ca. 91 Min. |
FSK: | ab 12 Jahren |
Webseite: | www.facebook.com/AnomalisaGermany |
Wer schon mal einen Film gesehen hat, an dem Charlie Kaufman beteiligt war, der weiß, dass dieser Künstler über eine recht skurrile Gedankenwelt verfügt. Ob seine Drehbücher zu "Being John Malkovich", "Adaption" und "Vergiss mein nicht" oder sein Regiedebüt "Synecdoche, New York" – wo Charlie Kaufman draufsteht, ist immer etwas Unangepasstes, Schräges und Fantasievolles drin. Das gilt auch für den Stop-Motion-Trickfilm "Anomalisa", auch wenn dieser dramaturgisch fast schon als gradlinig bezeichnet werden kann. Denn die Geschichte ist relativ simpel: der von der Monotonie seines Lebens gelangweilte Motivationstrainer und Bestsellerautor Michael reist durch das Land, trifft dabei immer wieder auf die gleichen Gesichter, hört sich die gleichen Probleme an, schläft in den gleichen Hotelzimmern. Doch dann trifft er auf einer Reise die Callcenter-Angestellte Lisa. Schon ihre Stimme verzaubert ihn, hebt sie sich doch aus der Masse des monotonen Stimmengewirrs hervor. In Lisa scheint der Familienvater das gefunden zu haben, was er in den letzten Jahren so schmerzlich vermisst hat: etwas Besonderes, Aufregendes und einfach Anderes. Michael ist überzeugt: Lisa ist der eine Mensch, mit dem er einen Neuanfang wagen und endlich aus seiner deprimierenden Langeweile ausbrechen kann…
"Anomalisa" ist ein Film, der nachwirkt und auf eine gewisse Art auch fasziniert. Da ist man natürlich leicht versucht, sofort "Meisterwerk" zu rufen. Keine Frage, alleine die wirklich einzigartige visuelle Umsetzung, sowie die Art und Weise, auf die Kaufman hier unter der Oberfläche verschiedene, sehr menschliche Themen abhandelt, sind echte Kinokunst. Doch macht das alleine den Film schon zu einem Meisterwerk? Aus rein handwerklicher Sicht ist das sicherlich zutreffend. Doch betrachtet man das Ganze nicht nur als hohe Filmkunst, sondern einfach als tiefgründigen Unterhaltungsfilm, sieht die Sache schon etwas anders aus. Denn neben einigen humorvollen oder einfach nur wunderschönen Momenten gibt es auch etliche sehr zähe, langatmige Szenen, die ein wenig wie unnötiges Füllmaterial anmuten.
Scheinbar möchte Kaufman den Zuschauer genau die Monotonie durchleben lassen, die Michael derart unglücklich macht. Doch das macht die Inszenierung stellenweise extrem sperrig, zumal man relativ schnell begreift, worauf der Regisseur hinaus will. Als knapp 30minütiger Kurzfilm wäre "Anomalisa" sicherlich großartig geworden. Doch für 90 Minuten ist die Geschichte einfach zu dünn. Die vielen langen Momenten der alltäglichen Langeweile und Tristesse, durch die sich Michael – und mit ihm eben auch der Zuschauer – kämpft, machen den Film nicht nur extrem anstrengend, sondern am Ende auch hochgradig deprimierend. Es gibt Momente, die sind so wunderbar skurril oder stecken voller hintergründiger Poesie, dass man zwar in gewisser Weise entschädigt wird. Dennoch bleibt am Ende der Eindruck, dass etwas weniger Druck aufs Gemüt des Publikums dem Gesamteindruck gut getan hätte.
Keine Frage, "Anomalisa" ist ein außergewöhnlicher Film mit einer ganz eigenen Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann. Es ist aber auch ein schwieriges Werk, das seine künstlerischen Ambitionen über jede Form von Unterhaltungswert stellt. Der Film will auf Teufel komm raus anders sein als der Mainstream, was er auch schafft. Doch der Effekt nutzt sich auf Dauer eben ab und dann reicht es nicht mehr, nur schräg und unangepasst zu sein. Wer einfach ganz besondere Kinokunst sehen möchte, der wird von Kaufmans Trickfilm garantiert fasziniert sein. Doch wer mit langen Einstellungen, in denen eigentlich nichts passiert, nichts Kunstvolles erkennen kann, der wird nach spätestens zwanzig Minuten extrem gelangweilt sein. Da kann dann auch die denkwürdigste Puppen-Sexszene seit "Team America" wenig Boden gutmachen. Daher gilt: Für experimentierfreudige Arthaus-Liebhaber ein Muss, für alle anderen eher mit Vorsicht zu genießen und daher auch nur mit Einschränkungen sehenswert!
Ein Artikel von Sebastian Betzold