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Anonymus: Interview mit Roland Emmerich

Anonymus: Interview mit Roland Emmerich

Auf der Frankfurter Buchmesse hat Regisseur Roland Emmerich auf eher ungewöhnliche Art und Weise seinen neusten Film "Anonymus" vorgestellt. Nach einem Screening des Films nahm der eher für große Special-Effects Blockbuster wie "Independence Day" oder "2012" bekannte Filmemacher in einer Podiumsdiskussion Stellung zu den Thesen, die er in seinem Film aufstellt. Moderiert von einem mit seinem Handmikrofon etwas überforderten Hellmuth Karasek, diskutierten Emmerich, Prof. Dr. Tobias Döring (Lehrstuhl Englische Literaturwissenschaft und Präsident der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft), Dr. Kurt Kreiler (Autor von "Der Mann, der Shakespeare erfand") und Frank Günther (Shakespeare-Übersetzer) über die verschiedenen Theorien, die seit langer Zeit über Shakespeare kursieren. Hat er nun seine Werke selbst geschrieben, oder stammen sie doch aus der Feder eines Anderen? Etwa eines Adeligen? Während sich alle beteiligten darüber einig waren, dass Emmerichs Film nicht nur visuell überzeugen kann, sondern auch gute Unterhaltung bietet, wurde über die Frage der Autorenschaft sehr lebhaft diskutiert. Am Ende kam es freilich zu keiner Einigung, da Jeder seine eigene Ansicht natürlich als die einzig echte Wahrheit ansieht. Doch unterhaltsam war diese Diskussionsrunde allemal. Anschließend ging es im kleinen Kreis weitaus ruhiger und entspannter zu. In gemütlicher Atmosphäre stellte sich Emmerich den Fragen interessierter Journalisten. Sehr sympathisch und gut gelaunt verriet Emmerich, warum er sich für diesen für ihn doch eher ungewöhnlichen Stoff entschieden hat, was er von der Shakespeare-Diskussion hält und was er für seine filmische Zukunft plant: Frage: Warum hat die Vorbereitung für den Film so lange gedauert? Das hat sich ja dann doch über ein paar Jahre hinweg gezogen. Roland Emmerich: Es hat so ein Dreivierteljahr gedauert, bis das Drehbuch da war. Und dann habe ich es zu meinem Agenten gebracht und er hat gesagt "Das ist großartig, lass uns damit zu Sony gehen". Und die haben dann auch gesagt "Super. Lass uns diesen Film machen" und haben gefragt, wie viel Budget ich brauche und ich hab gesagt "40 Millionen". "Klasse". Und dann hab ich gedacht, wir gehen jetzt nach London, war freudig erregt, aber nach drei bis vier Wochen Planung lag das benötigte Budget schon bei 45 Millionen Dollar und irgendwann waren es 50 und dann waren es auf einmal 55 und wir hatten immer noch keinen einzigen Cast. Dann hat das Studio gesagt: "Stoppt das ganze mal wieder". Da war ich dann nicht etwa sauer, ich hab das verstanden. Deswegen wusste ich, ich muss den Film mit einem ganz bestimmten festen Budget machen, sonst kommt dann wieder Irgendjemand daher und sagt "Jetzt stoppt das mal wieder". Deswegen habe ich mir mehr oder weniger selber alles ausgedacht wie der Film gemacht wird, wie er finanziert wird, wo er gemacht wird. Und dann bin ich mit vorhandenen Tatsachen wieder zu Sony gegangen. Und nachdem Amy Pascal, die den Film schon beim ersten Treffen gemocht hatte, nach "2012" gefragt hat "Was willst Du als Nächstes machen?" habe ich gesagt, dass ich jetzt endlich meinen Shakespeare-Film machen möchte. Und dann hat sie sofort gesagt: "Ja, aber der ist doch so teuer". Und dann hab ich gesagt: "Nein, 25 Millionen und die weltweiten Rechte und schon bist Du dabei". Und das Budget haben wir dann auch eingehalten. F: Die Spezialeffekte hätten ja eigentlich nicht sein müssen. Man hätte das ganze ja auch als Kammerspiel inszenieren können. RE: Ja, aber dann wäre es eben nicht ein Film von mir gewesen. Das war ganz wichtig für mich. Ich wollte das einfach so machen. Ich hab auch irgendwie vormachen wollen, wie man eigentlich einen historischen Film für wenig Geld groß aussehen lassen kann. Das war einfach so eine meiner privaten Dinge, die ich so zeigen wollte. Ich wollte die Stadt zeigen, ich wollte die Brücke zeigen, ich wollte, dass die Brücke eine Verbindung zwischen dem verruchten Bankside und der Hauptstadt war, das waren alles so Dinge, die ich hab zeigen wollen. Und die kannst Du einfach nicht in Worten erklären, die musst Du zeigen. F: Nach welchen Vorgaben wurde das denn konzipiert? Kann man sich sicher sein, dass es da wirklich so aussah? RE: Da muss ich wirklich sagen: Recherche! Da muss ich mein Production Team loben, die haben in akribischer Arbeit alles was es gibt aus der Zeit verwendet und sind dann an Originalschauplätze gefahren, wo es noch alte Straßenzüge in irgendeiner Form gibt, haben die alle abfotografiert und dann ist aus diesem Material unser London geworden. Die Brücke zum Beispiel ist absolut, bis auf den letzten Nagel, identisch. Da haben die wirklich gute Arbeit geleistet. Und ich habe denen auch immer gesagt: "Wir müssen speziell bei diesem Film besonders akkurat sein. Wir wissen, dass wir aus dramatischen Gründen ein paar Sachen behaupten, die so nicht passiert sind, dann lass uns wenigstens mal den ersten Film machen, in dem London und die Innenaufnahmen so aussehen, wie sie wirklich aussahen." Schau Dir "Elizabeth" an. Ich hab "Elizabeth" als Film gemocht, aber als ich ihn dann später gesehen habe mit dem Blick, den ich jetzt habe, dann möchte man fast glauben, dass Elizabeth in einer Kirche lebt. Und das hat sie halt nicht, aber es ist billiger zu drehen. Ich weiß genau, wie das läuft, denn Du bekommst keine einzige Drehgenehmigung in einem Elizabethean-Haus, denn da sind überall diese Wandgehänge und da sind die so vorsichtig damit, dass die Dich da nicht drehen lassen. Für mich wäre es aber falsch gewesen, in einer Kirche zu drehen. F: Und wie habt Ihr dass dann bei "Anonymus" hinbekommen? RE: Das ist wirklich so interessant, wenn man sich das überlegt. Ich bin nach Berlin gekommen und alle haben sich darum gerissen, in diesem Film zu sein, und ich habe gesagt: "Nicht so schnell! Das ist keiner meiner großen Filme" und da war natürlich erst einmal das Entsetzen groß, als die einzelnen Abteilungen ihre Budgets gehört haben. Aber dann haben Alle auch gesagt: Lass es uns machen! Und zum Beispiel die ganzen Innenaufnahmen sind gemacht worden in einem Modul-System. Wir hatten hohe Wände, halb hohe Wände und niedrige Wände. Die waren jeweils in einem ganz bestimmten Stil und die konnte man endlos wie Bauklötze miteinander kombinieren. Und damit haben wir aus wenigen Wänden endlose Sets gebaut. Wir haben viel dann auch digital hergestellt, viele Strassen und Häuser etwa. Der Courtyard, den gabs nicht. Nur ein Tor war echt. Wir hatten überhaupt nur ein Tor, das wurde dann mit verschiedenen Stücken immer anders gemacht. Das einzige, worauf ich bestanden habe, ist, dass das Theater echt ist. Und das war eine lange Diskussion. Da hat dann mein Line-Producer, der Larry, übrigens der einzige Amerikaner im Team, gesagt: "Roland, können wir nicht wenigstens den oberen Teil digital machen?" und ich hab aber immer "Nein" gesagt. F: Warum war die Klammer mit Derek Jacobi in dem Film? Man hätte es doch auf das Historische allein beschränken können. RE: Ich wollte irgendwie ein bisschen klar machen, dass es auch eine erfundene Geschichte ist. Ich wollte nicht den Fehler machen, den Stratfordians machen, dass sie alle sagen: "Was immer mein Buch sagt, genau so war es auch". Deshalb hab ich mich auch bei genau dem bedient, was auch Shakespeare in seinen Stücken viel gemacht hat, dass er einfach in einem Prolog Jemanden auf die Bühne treten lässt, wie in "Henry V." etwa, der den Zuschauer erklärt, worum es geht und ihn auffordert, seine Vorstellungskraft zu benutzen. Und in meinem Film wollte ich Leuten, die überhaupt nichts von der Materie wissen, vermitteln: In der Geschichte gibt es ein paar Probleme, jetzt zeigen wir eine alternative Version des Ganzen. Ich finde es eigentlich auch toll, dass wir ihn am Ende dann wieder erscheinen lassen und er dann einen Schlussmonolog spricht. (Bild: Die ANONYMUS-Diskussionsrunde aufd er Frankfurter Buchmesse)   F: Haben Sie nicht Sorge, dass Ihre alten Fans durch diesen ganz anderen Film verprellt werden könnten? RE: Ich glaube nicht, dass es so wichtig ist für die Leute, wer da Regie führt. Ich meine da würde man sich selbst zu wichtig nehmen. Ich glaube, wenn man den richtigen Film macht, dann kommen die Leute und wenn man eben nicht den richtigen Film macht, dann kommen sie nicht. Das hat Nichts über die Qualität eines Films zu sagen, denn wenn es um Qualität gehen würde, dann liegt das Publikum meist völlig falsch und ich glaube die Kritiker auch. Aber mein nächster Film wird auch wieder ein etwas teurerer Film sein, aber auch wieder etwas ganz anderes, mehr so ein Versuch, einen intelligenten Film über die Zukunft zu machen, der 2050 spielt und der sich eine große Frage stellt. F: War es denn bei "Anonymus" ein anderes Arbeiten, weil die Spezialeffekte nicht so im Vordergrund standen, sondern eher die Schauspieler? RE: Absolut. Das ist auch dadurch zustande gekommen, dass ich in meiner ganzen Karriere oft englische Schauspieler benutzt habe, Ian Holm ("The Day after Tomorrow") oder Jason Isaacs ("Der Patriot"), ich schau immer nach England, wenn es da gibt, den ich besetzten könnte. Und es war mir absolut klar, dass es bei "Anonymus" eine komplett britische Besetzung geben muss. Und da hat auch Amy Pascal zugestimmt und gesagt, dass das Heute auch einfacher zu verkaufen ist wegen "Harry Potter". Da hat "Potter" sehr, sehr viel bewirkt. Und wenn man sich anschaut, wie viele britische Schauspieler heute in großen amerikanischen Filmen eine Rolle spielen, das ist fast schon unheimlich. Und ich muss sagen, dass ich mich jeden Tag, wenn ich zum Dreh gegangen bin, richtig gefreut habe, wie ein kleines Kind. Denn es ist ja auch so, je älter man wird, desto mehr wird einem klar, wie sehr bei den Actionszenen schon alles festgelegt ist, von Storyboards über Previz, denn Du willst absolut sicher gehen, das alles stimmt. Wenn Du so etwas drehst, dann ist das reine Fleißarbeit. Da kannst Du dann auch nicht mehr so viel verändern. Aber dann freut man sich auf so Momente, wo man jemanden hat wie John Cusack (in "2012") und man mit denen dann eine lange Dialogszene drehen kann. Da freust Du Dich dann richtig drauf, weil da passiert ein Feuerwerk. Und je älter Du wirst, desto mehr freust Du Dich auf diese Momente. F: Lag es denn auch am Budget, dass bei "Anonymus" mehr unbekannte Darsteller engagiert worden sind? Es sind ja eigentlich nur vier große Namen. RE: Ja, aber es ist eigentlich auch so, dass das an dem Genre liegt. Ich hab mich da ein wenig an "Amadeus" angelehnt, da kannte man auch kaum jemanden. Der hat es sogar noch extremer gemacht, als ich. F: Gab es denn speziell in England schon Reaktionen auf den Film? RE: Ja. F: Wütende? RE: Wütende, nicht so wütende, lobende. Gerade aus Stratford gab es einige besonders wütende. Da gibt es so einen Typen, der heißt Stanley Wells, der bekommt immer so einen ganz roten Hals. Ich hab immer gedacht, wenn jetzt so der Kreiler und der Stanley miteinander reden würden, das würde dann eine Explosion geben. Aber ich begrüße die Diskussion, denn ich habe den Film natürlich in erster Linie als Unterhaltungsfilm gemacht, aber ich denke mir halt, dass so ein Thema nur dann wirklich funktioniert, wenn Leute aufgerüttelt werden und anfangen, zu diskutieren und Lärm machen. Wie will man mit so einem Film sonst für Aufmerksamkeit sorgen. Denn auch das Werbebudget, einfach alles ist kleiner bei diesem Film. F: was war das für einen Gefühl, so einen Film in Deutschland zu drehen, was so noch vor einigen Jahren gar nicht möglich gewesen wäre? RE: Es war interessant. Für mich war es besonders interessant, wieder zurück zu kommen, gerade mit so einem Film. Es haben sich auch Alle, einige nach anfänglichen Zweifeln, voll für den Film eingesetzt und zwei oder drei von denen werden auch wieder an meinem nächsten Film mitarbeiten. F: Wieder in Deutschland? RE: Nein, denn es wird wieder etwas Größeres und das Steuersystem ist hier gut für kleinere Filme, aber schlecht für größere Produktionen. Ich sag schon immer den beiden Besitzern vom Studio Babelsberg: Ihr müsst versuchen, so etwas wie in England oder Kanada zu machen, weil dann werden ganz bestimmt große Filme in Berlin gedreht. F: Wie lange ist es her, dass Sie in Deutschland gedreht haben? RE: 23 Jahre. Ich habe damals immer irgendwelche Fabrikhallen angemietet, die gerade bankrott gegangen sind. Bei meinem ersten Film, "Das Arche Noah Prinzip", war es eine Waschmaschinenfabrik, bei "Moon 44" war es ein Textilunternehmen. Das war cool, weil da alles clean war. (lacht). Da hab ich dann gesagt: "Klasse, so ist das toll". Damals bei "Moon 44" habe ich übrigens schon das gleiche Modul-System benutzt, dass wir bei "Anonymus" benutzt haben. Meine Kameraassistentin von damals, die Anna, hat jetzt auch wieder bei "Anonymus" hinter der Kamera gestanden. Ich wollte ja eigentlich schon bei "10.000 BC" wieder mit ihr zusammen arbeiten, aber dann wurde der Film immer größer und dann hat sie dann selber gesagt, dass ihr das zu groß sei und dass es für sie ein zu großes Risiko sei. Und da habe ich aber gesagt: "Wenn ich mal einen Film mache, der etwas kleiner ist , wirst Du die Kamera machen". Und jetzt wird sie, bis irgendwas furchtbares passiert, meine Kamerafrau sein. Es ist auch toll, dass es eine Frau ist, das ist extrem ungewöhnlich. Die Kamera Union in Amerika ist ein totaler Männerverein, da gibt es, glaube ich, ein oder zwei andere Frauen, das war es. Von allen Kameraleuten! Und ich glaube, dass ich noch nie mit einer Kamera gearbeitet habe, die so kreativ war. Die Anna ist jeden Tag mit neuen Gemälden gekommen und hat mir gezeigt, wie da das Licht ist und wie dort, hat gesagt, dass wir das nachmachen müssen und hat dann endlos gebastelt, um ein ganz weiches Licht hinzubekommen. Sie hat sich irre viel einfallen lassen, um den Film so aussehen zu lassen, wie er letztendlich geworden ist. F: Hat Sie Shakespeare schon in der Schule begeistert? RE: Ich weiß nicht, wo Sie zur Schule gegangen sind, aber ich war auf einem naturwissenschaftlichen Gymnasium und im Englischunterricht hat sich unser Lehrer nicht gewagt, uns Shakespeare vorzusetzen, sondern hat dann er Theaterstücke von Pinter und Ähnliches heraus geholt. Und im Deutschunterricht nimmt man natürlich Schiller, Goethe, Hölderlin etc. durch. Ich selber als Gymnasiast war total begeistert von Literatur, ich habe alles gelesen, was es an moderner Literatur gab, Thomas Mann, Dostojewski, ich hab alles verschlungen. Meine Mutter hat immer gesagt: "Kannst Du nicht mal auf die Strasse gehen und spielen, wie alle Anderen". Da hab ich dann gesagt: "Nee, ich mag kein Fußball, ich will lieber lesen". Von daher war ich immer schon geeicht auf Literatur, aber von Shakespeare hatte ich keine Ahnung. Erst, als ich in der Filmschule war, habe ich ein paar Filme gesehen, die nach Shakespeare Stücken gedreht worden sind. Aber erst als ich das Drehbuch zu "Anonymus" gelesen habe, habe ich einen Crash-Kurs gemacht und habe mir alle Filme, die es nach Werken von Shakespeare gibt, angesehen. Da bekommt man dann auch mit, wie unterschiedlich so etwas wie "Hamlet" sein kann, von einem Regisseur zum anderen. Und von daher ist mein Shakespeare-Wissen so aus den letzten zehn Jahren. Und jetzt erneure ich sie natürlich ständig und freue mich auf jede neue Shakespeare-Verfilmung. Vielen Dank an Roland Emmerich für das nette Gespräch und an die in der Gruppe anwesenden Kollegen für die interessanten Fragen. Alle weiteren Infos zum Film finden Sie unter: www.anonymus-film.de   Bilder: Copyright Alexander Heimann (Groß), Sebastian Betzold (Klein)

Ein Artikel von Sebastian Betzold