Nach dem sensationellen Erfolg von "The Dark Knight" ist Regisseur Christopher Nolan nicht etwa auf Nummer Sicher gegangen und hat einen weiteren "Batman"-Film inszeniert, sondern hat statt dessen eine sehr komplexe Idee umgesetzt, die er schon seit zehn Jahren mit sich herum getragen hat. Diese Entscheidung war genau richtig, denn Nolans "Inception" ist nicht weniger als ein nahezu perfektes Meisterwerk.
Den Inhalt wiederzugeben und dabei der Vielschichtigkeit des Werks gerecht zu werden, ist nahezu unmöglich. An der Oberfläche geht es in dem Film um Dom Cobb (Leonardo DiCaprio), dessen ungewöhnliche Profession es ist, Geheimnisse aus den Träumen anderer Menschen zu stehlen. Und da Dom der Beste seines Faches ist, bekommt er von dem Geschäftsmann Saito (Ken Watanabe) einen fast unmöglichen Auftrag erteilt: Dom soll eine sogenannte Inception durchführen. Dabei geht es nicht darum, Ideen zu stehlen, sondern sie in das Bewusstsein der Zielperson einzupflanzen. Der Plan, den Cobb mit seinem ausgewählten Team austüftelt, scheint perfekt. Doch in den verschiedenen Traumebenen lauern Gefahren, über die Cobb sein Team bewusst im Unklaren lässt. Und so droht schon kurz nach dem Eindringen in die Träume der Zielperson das gesamte Unternehmen in einer Katastrophe zu enden…
Diese Inhaltsangabe wird dem Film freilich nicht im Geringsten gerecht. Die Mischung aus klassischem Heist-Movie a la "Der Clou", Science-Fiction Fantasy von "Matrix"-Format und ergreifender Liebesgeschichte steckt derart voller Wendungen und Handlungsebenen, dass dies nicht in Worten wieder gegeben werden kann und von jedem Zuschauer selbst erfahren werden sollte. Doch dabei muss auch gesagt werden: so beeindruckend der Film auch aussieht, so grandios hier jedes einzelne Zahnrad in das nächste greift, so muss auch anerkannt werden, dass "Inception" kein einfacher Film ist. Die Komplexität des Geschehens, das sich auf bis zu fünf verschiedenen Ebenen gleichzeitig abspielt, zu erfassen, ist beim einmaligen Ansehen des Films nahezu unmöglich.
Davon sollte sich allerdings Niemand abschrecken lassen. Denn selbst wenn der Film die grauen Zellen mächtig beansprucht, vom Zuschauer vollste Aufmerksamkeit verlangt und selbst dann noch nicht garantiert ist, dass man der Handlung folgen kann, bietet der Film genügend Elemente, die einen Kinobesuch rechtfertigen. Da wäre natürlich die visuelle Komponente. Nolan und sein Team haben hier im wahrsten Sinne des Wortes traumhafte Bilder auf die Leinwand gezaubert. Ob sich eine Stadt quasi selbst zusammenfaltet, Häuser wie Sandburgen zusammenstürzen oder die gesamte Umgebung regelrecht explodiert, dem Zuschauer werden visuelle Kompositionen geboten, die für sich genommen echte Kunstwerke sind.
In dieser Traumszenerie lässt Nolan dann auch noch großartig inszenierte Actionsequenzen passieren. Dabei spielt sich besagte Action auf einer Traumebene in nahezu kompletter Schwerelosigkeit ab. Während der von Joseph Gordon-Levitt ("(500) Days of Summer") gegen seinen Widersacher kämpft, drehen sich Wände um ihn herum, die Regeln der Schwerkraft werden vollständig außer Kraft gesetzt. In zwei riesigen, rotierenden Sets gedreht, gehört diese Sequenz ohne Frage zu den Höhepunkten des Films. Die tiefer gelegene Traumebene dagegen mutet wie eine Hommage an alte Bond-Filme an, sowohl vom Design, als auch von den rasant inszenierten Ski-Verfolgungsjagden.
Neben der faszinierenden Geschichte, den großartigen Bildern und der einnehmenden Action kann der Film aber auch noch auf einer weiteren Ebene punkten: bei der Besetzung. Hier hat Nolan wiederum ein gutes Händchen bewiesen. Leonardo DiCaprio ist ein mehr als überzeugender Hauptdarsteller, dem es glaubhaft gelingt, die verschiedenen Facetten seines Charakters zu verkörpern. Auf der einen Seite ist DiCaprios Dom Cobb ein eiskalter Dieb, ein gerissener Geschäftsmann und ein perfekter Stratege. Doch auf der anderen Seite ist er ein gebrochener Mann, der von Schuldgefühlen geplagt wird und der seine geliebte Frau nicht aus seinem Unterbewusstsein vertreiben kann – was gefährliche Folgen hat. Cobb wird nur von einem Wunsch getrieben: er will seine Kinder wieder sehen. Und dafür würde er Alles tun. Das macht ihn einerseits zu dem perfekten Kandidaten, um eine Inception durchzuführen. Auf der anderen Seite macht ihn das aber auch zu einer echten Gefahr für sich und sein Team. Diese komplexe Rolle spielt DiCaprio mit einer Stärke, die er zuletzt schon bei "Shutter Island" gezeigt hat und die ihn zu einem der besten Schauspieler seiner Generation macht.
Im zur Seite steht eine Riege aus ganz großen Jungdarstellern wie Joseph Gordon-Levitt, "Juno"-Star Ellen Page oder Cillian Murphy. Ken Watanabe ("Last Samurai"), Michael Caine und Tom Hardy runden das Ensemble perfekt ab. Ganz großes Lob gebührt aber auch Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard, die als Cobbs Frau in den meisten Szenen völlig ohne Worte eine großartige Leinwandpräsenz zeigt und so beweist, dass sie ihren Oscar absolut zurecht gewonnen hat. Die Szenen mit Cobbs Frau, die bisweilen nur aus kurzen Erinnerungsfetzen bestehen, führen zu einem weiteren gelungenen Aspekt des Films: dem Schnitt. Wie hier die einzelnen Szenen und Ebenen zusammengefügt worden sind, ist ein Kunststück, das unbedingt gewürdigt werden muss.
All die einzelnen Elemente, zu denen auch die Musik von Hans Zimmer gehört, machen "Inception" zu einem faszinierenden Gesamtkunstwerk, zu anspruchsvollem Unterhaltungskino, das nicht nur gesehen, sondern erfahren wird. Ein Filmerlebnis, das dem Zuschauer zwar viel abverlangt (und damit ist nicht der aufgrund der Überlänge erhöhte Eintrittspreis gemeint), das aber jede Investition doppelt und dreifach zurück gibt. Für Filme wie diesen ist Kino gemacht und daher gilt auch: unbedingt sehenswert!!!
Ein Artikel von Sebastian Betzold