Mängelexemplar

Eigentlich hat Karo (Claudia Eisinger) immer gedacht, sie wäre eine ganz normale junge Frau. Gut, sie hat Stimmungsschwankungen und hat ab und an unkontrollierbare Wutanfälle. Aber haben wir die nicht alle mal? Doch als sie ihren Job verliert und selbst ihre beste Freundin Anna (Laura Tonke) sich von ihr distanziert, wird Karo klar, dass irgendetwas nicht stimmt. Eine Therapie soll da Abhilfe schaffen. Doch leider macht sie in ihrem Bestreben, die perfekte Patientin zu sein, alles falsch und schlittert so unaufhaltsam einer tiefen Depression entgegen. Als sie auch noch ihren Freund verliert und von ständigen Panikattacken drangsaliert wird, beginnt sie zu erkennen, dass sie selbst das Problem ist. Doch das bringt sie einer Lösung kein Schritt näher…

Mit ihrem Spielfilmdebüt "Mängelexemplar" wagt sich Laura Lackmann an ein sehr schwieriges Thema. Ihre Verfilmung von  Sarah Kuttners gleichnamigem Bestseller-Roman versucht sich spielerisch und humorvoll, dabei aber auch authentisch dem Thema Depressionen zu nähern. Das Problem ist nicht etwa, dass ihr das nicht gelungen wäre, sondern vielmehr, dass es ihr etwas zu gut gelungen ist. Wie Claudia Eisinger die extremen Stimmungsschwankungen, aber auch den mit der Krankheit einhergehenden, äußerst zerstörerischen Egoismus darstellt, ist einfach großartig. Das Resultat ist aber, dass Karo zwangsläufig auf den Zuschauer nicht wirklich sympathisch, sondern extrem anstrengend wirkt. Ihr dabei zuzusehen, wie sie sich immer mehr in ihren Depressionen verliert und sich und ihre Umwelt kaputt zu machen droht, ist trotz einiger sehr schöner und auch amüsanter Momente wirklich kein Vergnügen.

Dass Karo nicht die einzige dysfunktionale Person in dem Film ist, macht die Sache nicht einfacher. Es gibt – von ihrer Oma einmal abgesehen – kaum echte Sympathieträger, mit denen man als Zuschauer gerne seine Zeit verbringt. Zu Beginn kommt das Ganze noch erfrischend humorvoll und bissig daher. Da macht der Film wirklich Spaß und lässt auf eine kurzweilige Komödie mit vielen Ecken und Kanten hoffen, bei der man dann die kaputten oder unsympathischen Charaktere auch gerne in Kauf nimmt. Doch – und das bringt die hier behandelte Krankheit eben mit sich – weicht der Humor mit den voranschreitenden Symptomen immer mehr dem im wahrsten Sinne des Wortes deprimierenden Drama. Und das ist leider sehr, sehr anstrengend.

Aus rein schauspielerischer Sicht ist "Mängelexemplar" wirklich faszinierend. Claudia Eisinger spielt die Rolle extrem gut und äußerst authentisch. Wer Jemanden kennt, der manisch-depressiv ist, wird viel davon in ihrem intensiven Spiel wiedererkennen. Wer den Film nur danach beurteilt und auch einfach nur sehr gutes Schauspielerkino sehen will, der sollte sich den Film nicht entgehen lassen. Wer aber gerade nach dem eher noch amüsanten Beginn auf einen durchweg unterhaltsamen, entspannten Kinobesuch hofft, der wird spätestens nach den ersten 45 Minuten auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Daher gilt: Nur für Zuschauer sehenswert, die sich auf hervorragend gespielte und authentisch umgesetzte Art mit dem schweren Thema Depression auseinandersetzten wollen, absolut sehenswert. Für alle anderen, die einen vergnüglichen Kinoabend verbringen wollen, eher nicht geeignet!

Ein Artikel von Sebastian Betzold