Michael Mann gehört zweifelsohne zu den ganz großen Meistern des modernen Gangsterkinos. Auch wenn der Regisseur, der seinen Ruf einst mit "Heat" gefestigt hat, mit der Kinoversion von "Miami Vice" nur auf wenig Gegenliebe gestoßen ist, so ist er doch trotzdem die erste Wahl, um einem der größten Gangster der US-Geschichte filmisch Tribut zu zollen: John Herbert Dillinger.
Allerdings ist "Public Enemies" keine Filmbiographie im eigentlichen Sinne. Denn der Film konzentriert sich auf den recht kurzen Zeitraum zwischen Mai 1933, als Dillinger (Johnny Depp) auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wurde, bis zum 22. Juli 1934, wo er vom FBI nach einem Kinobesuch erschossen worden ist. In diesem kurzen Zeitraum stieg Dillinger zu einer Art Volksheld auf, der das sich gerade in seiner Gründung befindlichen FBI immer wieder der Lächerlichkeit preis gab. J. Edgar Hoover (Billy Crudup) erklärte daraufhin Dillinger zum ersten amerikanischen Staatsfeind Nr. 1, was erstmals in der US-Geschichte eine landesweite Fahndung nach dem Bankräuber und seiner Gang in Gang setzte. Geleitet wurde die Fahndung von Melvin Purvis (Christian Bale), dem es nach zahlreichen Tiefschlägen doch gelang, die Schlinge um Dillinger fester zuzuziehen. Was aber niemand verhindern konnte, ist, dass Dillinger nicht nur zu Lebzeiten ein Mythos wurde, der bis heute kaum etwas von seiner Faszination verloren hat.
Stilistisch gesehen ist "Public Enemies" ein sehr guter Film. Durch den von Mann so geschätzten Einsatz von HD-Kameras verleiht er dem Geschehen einen realistischen Eindruck und verhindert, dass das Ganze wie ein Kostümfilm aussieht. Die Ausstattung, die bis ins kleinste Detail genau recherchiert worden ist, und der Dreh an Originalschauplätzen verleihen dem Film überdies einen hohen Grad an Authentizität. Und dennoch bleibt Manns Gangsterepos in einigen Punkten spürbar hinter seinen Möglichkeiten zurück.
So konzentriert sich Mann bei aller Detailverliebtheit zu wenig darauf, dem Zuschauer deutlich zu machen, warum Dillinger auf das amerikanische Volk eine derart große Anziehungskraft ausgeübt hat. Zwar wird zu Beginn in einer kurzen Einleitung erläutert, dass Dillinger während der großen Depression der 30er seine Raubzüge begonnen hat, warum er aber für die einfache Bevölkerung zu einer so wichtigen Symbolfigur geworden ist, kann der Zuschauer nur erahnen. Fakt ist, dass für die meisten Amerikaner die Banken Schuld an der Krise waren (Ähnlichkeiten zur aktuellen wirtschaftlichen Situation sind natürlich reiner Zufall!). Dass es ein Mann wagte, eben diesen Banken des Geld zu rauben und sich nicht von Polizei und Regierung einschüchtern zu lassen, machte Dillinger bei der Masse so beliebt. Zudem verfügte er über ein natürliches Charisma, dem sich selbst Gesetzeshüter nicht entziehen konnten. All das schafft der Film nur bedingt zu vermitteln, trotz seines sehr guten Hauptdarstellers.
Johnny Depp gibt zu, seit seiner Kindheit von Dillinger fasziniert gewesen zu sein, weshalb für ihn mit dieser Rolle ein Traum in Erfüllung gegangen ist. Und das sieht man ihn in einigen Szenen deutlich an. Etwa, wenn er in einem vollen Kino sitzt und auf der Leinwand sein Bild erscheint. Die Kinobesucher werden daraufhin aufgefordert, nach links und rechts zu blicken, denn der böse Gangster könne ja direkt unter ihnen weilen. Die Coolness, mit der Depp diese Szene meistert, ist einfach wunderbar. Und dennoch bleibt am Ende das Gefühl, dass der Mime, der längst schon einen Oscar verdient hätte, wesentlich mehr aus der Rolle hätte heraus holen können. Nichtsdestotrotz ist Depps Leistung großartig und ohne Frage der absolute Höhepunkt des Films.
Auch wenn der Trailer suggeriert, "Public Enemies" wäre ein actiongeladener Gangsterfilm, so dominieren doch lange Dialogszenen das Geschehen. Etwa Dillingers erstes Treffen mit seiner Geliebten Billie Frechette (Marion Cotillard), bei dem Mann seinen Protagonisten vielleicht schon etwas zu viel Zeit einräumt, die stimmige Chemie auf das Publikum zu übertragen. Die wenigen Actionszenen des Films sind sehr gut inszeniert, allerdings zieht Mann auch diese wieder etwas zu sehr in die Länge. Hier verschenkt er Zeit, die er anderweitig in die Vertiefung des Charakters von John Dillinger hätte stecken können.
Zugegeben, wäre der Film von einem anderen Regisseur gedreht worden, wäre diese Kritikpunkte sicherlich nicht ganz so streng bewertet worden. Doch sowohl Michael Mann, als auch Johnny Depp können mehr, als nur sehr gute Leistungen abliefern. Von diesem Team hätte an sich ein brillanter Film erwartet werden können. Doch um fair zu bleiben: "Public Enemies" ist ein in vielen Aspekten großartiges Werk mit einigen Längen und Hängern, das Liebhabern von gehobeneren Gangsterfilmen durchaus ans Herz gelegt werden kann.
Originaltitel: Public Enemies
Regie: Michael Mann
Länge: ca. 140 Min.
FSK: ab 12 Jahren
Ein Artikel von Sebastian Betzold