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Anregungen für Frankfurter Sommerlektüre

26.06.2018 | 17:35 Uhr | Kultur
Anregungen für Frankfurter Sommerlektüre

(ffm) Sommerzeit, Reisezeit – Zeit für Entdeckungen, die man freilich nicht nur in fernen Ländern, sondern auch daheim, vielleicht sogar direkt um die Hausecke machen kann. Eine Anzahl von Neuerscheinungen macht Lust auf Expeditionen in die eigene Stadt, bietet Hintergründe – oder ganz einfach Lesevergnügen.

50 spannende Geschichten

Wieso hat das Dach der Nikolaikirche ein Loch? Was hat ein Phallus im Kreuzgang verloren und wieso frisst ein Löwe am Dom einen Ritter, während der Wappenadler auf dem Römer in die falsche Richtung guckt? Mithilfe von Frankfurtkennern, darunter auch Oberbürgermeister Feldmann, lüften die Autorinnen solche und andere Frankfurter Geheimnisse, an denen mancher schon zigmal vorbeigelaufen ist, und regen zum genaueren Hinschauen beim nächsten Mal an. Darunter sind natürlich auch bekannte Geschichten wie der Prozess gegen Goethes Gretchen-Vorbild Susanna Margareta Brandt oder der Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt. Frankfurts langjähriger Stadtkämmerer Ernst Gerhardt erinnert sich als Zeitzeuge an die Reichspogromnacht. Alle Ziele lassen sich bei einem Bummel durch die Innenstadt ansteuern, wobei ein Übersichtplan mit Markierungen sowie die zahlreichen Abbildungen hilfreiche Dienste leisten.

<link https: www.amazon.de gp product _blank>Eva-Maria Bast / Julia Rieß: Frankfurter Geheimnisse. 50 spannende Geschichten aus der Bürgerstadt, Frankfurter Neue Presse / Bast-Medien: Überlingen 2017, 192 S., 14,90 Euro

Nur ein Viertelstündchen

Ein Kaleidoskop ganz unterschiedlicher, immer aber kurzer Texte rund um bekannte Frankfurtensia von Apfelwein, Hochhäusern, Brücken samt „Briggegickel“ bis hin zum Hauptbahnhof bietet der Sammelband, dessen zehn Kapitel man in der Tat in einem Viertelstündchen lesen kann. Unter den Autoren findet sich der Krimischriftsteller Daniel Holbe, in dessen Kurzgeschichte Frankfurts bekanntester Sohn zumindest namentlich auftritt, und Kabarettist Henni Nachtsheim, dem Feen in Hosenanzügen begegnen, während HR-Moderator Holger Weinert in seinem Essay über Frankfurts Nachkriegsentwicklung philosophiert, und Wetterfrosch Tim Frühling sich kontrafaktisch vorstellt, wie sich die Bundesrepublik mit Frankfurt als Hauptstadt entwickelt hätte. In einer atmosphärisch dichten Kurzgeschichte stellt sich Romanautorin Christiane Gref die Gewissensnöte von Frankfurter Stadtoberhaupt Karl Fellner beim Einmarsch der Preußen 1866 vor, die mit seinem Selbstmord endeten. Nachdenklich, vergnüglich, ein bisschen schräg, tragisch, aber immer abwechslungsreich und oft überraschend bietet sich der Band dem Einsteiger in die vielschichtige Mainmetropole ebenso an wie allen, die ihre Stadt und deren Gesellschaft einmal unter anderen Blickwinkeln betrachten wollen.

<link https: www.amazon.de gp product _blank>Meddi Müller / Marcel Dax (Hg.): Ein Viertelstündchen Frankfurt, Charles-Verlag: Frankfurt 2017, 188 S., 12,50 Euro

Ein Viertel mit vielen Facetten

Seit über einem Jahrhundert Frankfurts dynamischstes, urbanstes, aber auch umstrittenstes Stadtviertel: In keinem andern Stadtquartier drängt sich wie im Bahnhofsviertel eine so wechselvolle, dichte und vielfältige Geschichte und Gegenwart zusammen – wie in einem Brennglas konzentrieren sich hier Entwicklung und Gegensätze der Mainmetropole auf engstem Raum. Nach dem Bau des Hauptbahnhofs als mondänes Eingangstor zur Stadt und mit über fünfzig Hotels zugleich deren zentrales Angebot an ihre Gäste geplant, blieb 1945 nur eine Trümmerlandschaft. Bodenspekulation, Animierlokale, Prostitution, organisierte Kriminalität trieben viele Einwohner fort und ruinierten nicht nur den Ruf des Viertels, sondern zogen auch den der gesamten Stadt in Mitleidenschaft. Seit der Jahrtausendwende hat das erfolgreiche Programm „Wohnen und Leben im Bahnhofsviertel“ eine beträchtliche Aufwertung ausgelöst; die jährliche „Bahnhofsviertelnacht“ – in diesem Jahr am 16. August – zieht Tausende von Besuchern an. Das Quartier ist trendy geworden, ohne dass deshalb alle Probleme gelöst wären. Wer einmal tiefer in diese vielschichtige Bau- und Sozialgeschichte, aber auch in Einzelaspekte wie Nachtleben, Drogenszene, Wirtschaftsstruktur, Kunst und Kultur einsteigen will, findet in dem reich illustrierten Begleitband zur gleichnamigen aktuellen Ausstellung im Institut für Stadtgeschichte einen idealen Begleiter.

<link https: www.amazon.de gp product _blank>Klaus Janke / Markus Häfner: Banker, Bordelle Bohème. Die Geschichte des Frankfurter Bahnhofsviertels, Societätsverlag: Frankfurt 2018, 240 S., 30,00 Euro

Frauen aus vier Jahrhunderten

Neben Örtlichkeiten gibt es indes auch noch Menschen in Frankfurts Geschichte und Gegenwart zu entdecken, wie die Frauen, die ungewöhnliche oder spezifisch Frankfurter Sonderwege gingen und dabei Grenzen überschritten, um ein Leben zu führen, das so in ihrer Zeit nicht vorgesehen war – unter diesen Abschnitten versammelt dieser Band Porträts von Frauengestalten aus den vergangenen vier Jahrhunderten. Unter ihnen finden sich aus der Stadtgeschichte durchaus bekannte Persönlichkeiten wie die SPD-Politikerin und Widerstandskämpferin Toni Sender oder Elisabeth Schwarzhaupt, unter Konrad Adenauer erste deutsche Bundesministerin. Aber auch weniger bekannte Mitglieder der Frankfurter Stadtgesellschaft wie zwei Angehörige der Unternehmerfamilie Gontard, die im 19. Jahrhundert in ihrem politischen Salon im Austausch mit vielen politischen und kulturellen Größen ihrer Zeit standen, oder Maria Kunkel, die ein Jahrhundert zuvor mit einem damals unerhörten Scheidungsprozess den Wiener Kaiserhof und das Reichskammergericht in Wetzlar beschäftigte. Nicht nur dieser Artikel ist ein Beleg dafür, dass in den Archiven auf Frankfurts Forscher und Leser noch manche Überraschung wartet. Auch auf an sich bekannte Persönlichkeiten wie Marie Brentano und die bürgerliche Gesellschaft ihrer Zeit werfen aktuelle Forschungsergebnisse ein neues Licht.

<link https: www.amazon.de gp product _blank>Evelyn Brockhoff / Ursula Kern (Hg.): Frankfurter Frauengeschichte(n), Societätsverlag: Frankfurt 2017, 224 S., 29,90 Euro

Ein fast vergessener Mann

Nicht erst beim Bau des Museumsufers hat die Mainmetropole visionären Kulturpolitikern Mittel und Möglichkeiten geboten, neue und zukunftsweisende Konzepte und Projekte aufzulegen. Nur noch Kunsthistorikern ein Begriff – erst seit einigen Jahren erinnert eine Straße auf dem Campus Riedberg an ihn – ist Fritz Wichert, der für ein rundes Jahrzehnt von 1923 bis 1933 als Gründungsdirektor der Frankfurter Kunstschule mit Zusatzaufgaben in weiteren Institutionen und Gremien der Kulturpolitik der Stadt die Richtung wies. Nachdem er als Gründungsdirektor der Mannheimer Kunsthalle seine Kompetenz als Kunsthistoriker und Organisator, in diplomatischen Missionen während des Ersten Weltkrieges als Netzwerker und als glänzender Feuilletonist und Kunstpädagoge unter Beweis gestellt hatte, gewann ihn Oberbürgermeister Ludwig Landmann, der ihn aus Mannheim kannte, für das Projekt, Städelschule und Kunstgewerbeschule zu einer Kunstschule zu verschmelzen. Wichert entwarf pädagogische Konzepte, gewann herausragende Lehrer und entwickelte an der Moderne orientierte Lehrinhalte; von seinen Grundgedanken her folgte Wichert einer Linie, die an Hilmar Hoffmann späterem Postulat von der „Kultur für Alle“ erinnert. Das Ende seiner Tätigkeit fällt nicht zufällig in das Jahr der NS-Machtergreifung. Auch seine Projekte fielen dem systematischen Angriff der Nazis auf die moderne Kunst zum Opfer, hatte Wichert doch unter anderem Persönlichkeiten wie den den Nazis verhaßten Maler Max Beckmann als Lehrer an der Kunstschule verpflichtet. Auf einen kleinen Fehler sei an dieser Stelle hingewiesen: Wie Wichert war Max Beckmann den Nazis zwar als Exponent der künstlerischen Moderne missliebig, jüdischer Abstammung war er indes nicht (S. 298). Wie di! eser mus ste sich der gleichgesinnte Wichert aus dem Kunstbetrieb zurückziehen und verbrachte seine verbleibenden Lebensjahre auf Sylt, seinerzeit ein beliebter Treffpunkt der Kunstszene. Das Buch, entstanden aus einer Dissertation, rückt eine Zeit in den Blickpunkt, in dem Frankfurt in Kultur, Stadtplanung und Architektur ein Vorreiterrolle innehatte, die bis heute in Stadtbild und Stadtgesellschaft Spuren hinterlassen hat.

<link https: www.amazon.de gp product _blank>Carina Danzer: Das Neue Frankfurt (mit)gestalten. Der Kunstschuldirektor und Kulturpolitiker Fritz Wichert (1878-19561), Societätsverlag: Frankfurt 2018, 360 S., 30,00 Euro

Blick hinter die (Hochhaus)-Fassaden

Einen Menschenschlag, der vor allem im letzten Jahrzehnt zu einer der ebenso prägenden wie kontroversen Gestalten der Frankfurter Stadtgesellschaft aufgestiegen ist, rückt ein Roman in den Mittelpunkt: Der Autor, selbst lange im Finanzgewerbe tätig, macht einen Investmentbanker zum Protagonisten, der in einer nahen, nicht exakt bestimmten Zukunft in Frankfurts Glastürmen seinen Geschäften nachgeht. Beruflich ausgesprochen erfolgreich, mehren sich in Viktor die Zweifel an der Sinnhaftigkeit seines Tuns. Als er die bisherigen Mechanismen und Strategien seiner auf Unternehmenskäufe und –fusionen spezialisierten Bank in eine Sackgasse treiben sieht, plant er nichts weniger als eine politische Revolution, die die Kunstwelt der Geldhäuser wieder an die Realität koppeln und ihn selbst von der Leere seines Daseins erlösen soll…

Weniger die knapp gehaltene Handlung als die Dialoge und Reflexionen der Hauptfigur stehen im Mittelpunkt des Buches. Sie gewähren kritische, bisweilen sarkastische Einblicke in die bisweilen brutale Welt hinter den Hochhausfassaden und in die Köpfe einer Berufsgruppe, die in einer selbstgeschaffenen Lebenswelt gezeigt wird, die mit der großen Mehrheit der Menschen in ihrer Umgebung kaum noch etwas zu tun hat, deren Strategien und Transaktionen deren Leben jedoch in vielfacher Hinsicht prägen und steuern.

<link https: www.amazon.de gp product _blank>Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland, Tropen: Stuttgart 2018, 214 S., 20,00 Euro

 

 

 

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